Ein Besuch bei den früheren Potsdamer KT4Dm in Temirtau.
Im November und Dezember 2009 gelangten insgesamt zwölf KT4Dm (Nr. 103, 126 – 128, 132, 226 – 228, 241, 243 – 245) aus der brandenburgischen Landeshauptstadt in die kasachische Industriestadt Temirtau. Sie sollten dort helfen, den völlig abgewirtschafteten Wagenpark der am 5. September 1959 eröffneten Straßenbahn zu erneuern. Zu diesem Zeitpunkt rollten von den einst fünf Linien bereits nur noch zwei, im Juni 2013 blieb nach Einstellung der Linie 2 einzig die Linie 4 übrig. Sie verbindet bis heute das Stahlwerk mit dem Stadtzentrum. Insgesamt sind 32,5 km Gleise in Betrieb und 142 Mitarbeiter in Lohn und Brot. Während der Fahrbetrieb fest in Frauenhand (ein Team aus drei festen Fahrerinnen gehört jeweils zu einem Fahrzeug) ist, bleibt die Werkstatt eine Männerdomäne. 15 Wagen rollen in der Hauptverkehrszeit durch Temirtau.
Das Stahlwerk der indischen Firma ArcelorMittal (sie ist auch in Deutschland u.a. in Eisenhüttenstadt ansässig) ist der größte Arbeitgeber der Stadt und zugleich auch Eigentümer des Straßenbahnbetriebes. Investitionen in Betrieb werden jedoch schon seit längerem keine mehr getätigt. Dies bekamen auch die Potsdamer Wagen zu spüren. Zunächst freudig begrüßt und in der Presse gefeiert, stellte sich schnell heraus, dass die Werkstatt den Fahrzeugen kaum gewachsen ist. Fehlende Ersatzteile, mangelndes Wissen um die technische Ausrüstung der Wagen und Diebstähle von Buntmetall aus den Fahrzeugen haben dafür gesorgt, dass den Potsdamern nur wenige Einsatzjahre beschert wurden. Schon 2011 waren alle Tatras abgestellt. Die Wagen 103 und 241 haben den Betriebshof nie verlassen. Den russischen Wagen vom Typ KTM-5, die noch immer die Hauptlast des Betriebes tragen, geht es kaum besser. Auf den vollkommen ausgefahrenen Gleisen rumpeln die Wagen mit kaum mehr als 20 km/h durch die Stadt. Die Inneneinrichtung ist stark improvisiert und oft fehlen Sitze.
Beim Besuch im Oktober 2019 war die Zukunft des Betriebes alles andere als sicher, die Mitarbeiter versuchen jedoch unter den widrigen Bedingungen alles, um die Bahn am Leben zu erhalten. Bei Fahrpreisen von 50 Tenge (ca. 12 Cent) kommt jedoch kaum Geld in die Kassen, zumal alle Mitarbeiter des Stahlwerkes kostenlos fahren. Nicht zuletzt deshalb sind die Bahnen in den Spitzenzeiten gut gefüllt. Anders als in anderen Betrieben genießen Schüler und Rentner übrigens keine Ermäßigungen. Die Kompensationen durch das Stahlwerk reichen bei Weitem nicht aus, um Wagen und Gleise zu erneuern. Es wird auf Verschleiß gefahren.
Der Fahrgastwechsel ist ein interessantes Schauspiel: von den drei Türen der KTM-5 ist die letzte fest verschlossen. Zunächst müssen die aussteigenden Fahrgäste den Wagen durch die erste Tür verlassen. Die Fahrerin kontrolliert die Betriebsausweise bzw. kassiert das Fahrgeld. Fahrscheine gibt es nur auf Nachfrage. Im Laufe des Aussteigeprozesses wird dann die mittlere Tür geöffnet und die wartenden Fahrgäste können einsteigen. Bei den KT4D können dazu die beiden mittleren Türen genutzt werden. Auch hier ist die letzte Tür gesperrt.
Die Haltestellen sind übrigens nicht leicht zu finden. Da sie nicht ausgeschildert sind, hält der Ortsunkundige nach wartenden Menschen am Straßenrand Ausschau. Auch Ölspuren im Gleisbereich deuten auf eine Haltestelle hin. Nähert sich eine Bahn überquert man die Straße am nahen Zebrastreifen und muss dann halb auf dem Gleis, halb auf der Straße warten, bis sich die Türen öffnen. Bahnsteige gibt es nicht. Auch beim Ausstieg ist Vorsicht geboten – nicht jeder Autofahrer hält an.
Neben der Linie 4 (Mikrorajon Nr. 8 – Zekh Obzhiga) sind manche Wagen auch als Linie 31 beschildert. So kennzeichnet man Einrücker. Das Depot befinde sich nämlich im Quartal Nr. 31. Hier findet man auch die meisten der Potsdamer Wagen.
Ihr Zustand kann nur als traurig beschrieben werden. Die jahrelange Abstellung unter freiem Himmel und die extremen Temperaturen im Sommer und Winter haben den Fahrzeugen stark zugesetzt. Im Oktober 2019 war lediglich KT4D Nr. 228 einsatzfähig. Aus den anderen Wagen waren bereits viele Ersatzteile entnommen und auch gestohlen worden. In der Werkstatt äußerte man die Hoffnung, wenigstens einen weiteren Wagen wieder fit zu bekommen. Für die meisten der Potsdamer Fahrzeuge ist das Ende jedoch längst gekommen. Ob dies auch für die Straßenbahn von Temirtau gilt, bleibt abzuwarten.
Hier nun ein paar Impressionen aus Temirtau vom Besuch Anfang Oktober 2019.
Wir beginnen natürlich mit den Potsdamer Wagen, von den einzig Nr. 228 einsetzbar war.







Folgen wir dem Zug nun auf den Betriebshof, auf dem die restlichen Potsdamer Wagen zu finden sind. Viel zu sagen gibt es dazu nicht. Hier die abgestellten Fahrzeuge:
Lassen wir die Potsdamer Wagen nun beiseite und werfen noch einen kurzen Blick auf die restlichen Fahrzeuge des Betriebes.












Diese und weitere Bilder aus Temirtau findest Du auf www.tram2000.de und unter www.flickr.com/photos/tram2000.
Danke für den ausführlichen und interessanten Bericht!
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Immer wieder gern 🙂
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Auch von mir vielen Dank für den Bericht! Klasse Fotos! Grüße aus Moskau!
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Hallo Jiri,
ich freue mich, dass Dir der Beitrag gefallen hat.
Привет из Потсдама в Москву.
Роберт
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